Antwort von Amnesty International auf meinen offenen Brief
(und meine Antwort darauf)


Sehr geehrter Herr Lübeck,

danke für ihre E-Mail.
Gerne nehmen wir hierzu nochmal inhaltlich Stellung:

Israel ist nach dem Völkerrecht verpflichtet, alle Menschen unter seiner Kontrolle zu schützen, und als Besatzungsmacht schließt diese Verpflichtung die Palästinenser*innen in den besetzten palästinensischen Gebieten ein. Alle Handlungen und Maßnahmen, die im Namen der Sicherheit unternommen werden, müssen mit dem Völkerrecht vereinbar sein und in einem angemessenen Verhältnis zu der bestehenden Bedrohung stehen. In den vergangenen Jahren hat Israel wiederholt die Sicherheit als Vorwand benutzt, um schwere Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen Palästinenser*innen zu begehen. Die israelischen Regierungen haben eine völkerrechtswidrige Blockade des Gazastreifens verhängt und damit die Zivilbevölkerung kollektiv bestraft. Die Tatsache, dass die brutalen Angriffe der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen am 7. Oktober gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen haben, entbindet Israel nicht von seinen Verpflichtungen, die Zivilbevölkerung zu schützen und das Völkerrecht einzuhalten. Die Reaktion der israelischen Regierung auf die schrecklichen Angriffe der bewaffneten palästinensischen Gruppen verstößt gegen die Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts. Die anhaltende und groß angelegte Bombardierung des Gazastreifens seit dem 7. Oktober hat zu einer noch nie dagewesenen Zahl von Todesopfern und Verletzten unter der Zivilbevölkerung und zur Zerstörung von zivilen Häusern und Infrastruktur geführt. Amnesty hat Beweise für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, einschließlich Kriegsverbrechen, durch die israelische Armee gefunden, z. B. direkte Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Objekte sowie wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet wurden.
Gleichzeitig feuerte die Hamas und andere bewaffnete Gruppen weiterhin wahllos Raketen auf israelische Städte und Ortschaften ab. Angesichts der aktuellen Abriegelung des Gazastreifens durch Israel und der massiven Einschränkung der dringend benötigten humanitären Hilfe, der Vertreibung von Hundertausenden, des anhaltenden unerbittlichen Bombardements und der laufenden Bodenoffensive ist ein humanitärer Waffenstillstand der wirksamste Weg, um Leben zu retten und ziviles Leid auf beiden Seiten zu verhindern.

Mittlerweile gibt es eine Petition, diese finden Sie hier:
https://www.amnesty.de/israel-besetzte-palaestinensische-gebiete-gaza-amnesty-ruft-alle-konfliktparteien-zu-waffenstillstand-auf
Sie ruft beide Seiten zu einem Waffenstillstand auf. Ein Waffenstillstand könnte auch die Gelegenheit bieten, die sichere Freilassung und Rückkehr der von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln zu erreichen. Darüber hinaus könnten unabhängige Untersuchungen von Kriegsverbrechen und anderen Menschenrechtsverletzungen durch alle Parteien ermöglicht werden, unter anderem durch den Internationalen Strafgerichtshof und die unabhängige Untersuchungskommission für die besetzten palästinensischen Gebiete. Der UN-Generalsekretär und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte sowie viele Staaten, darunter die derzeitigen Sicherheitsratsmitglieder Brasilien, Gabun, Mosambik, die Schweiz und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, haben ebenfalls zu einem Waffenstillstand aufgerufen.
Der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten, die in Palästina tätigen UN-Organisationen und viele UN-Menschenrechtsexpert*innen fordern einen Waffenstillstand, ebenso viele humanitäre und zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Oxfam, Ärzte ohne Grenzen, NRC - der Norwegische Flüchtlingsrat u.v.a.m.

Als Menschenrechtsorganisation sind wir selbstverständlich zutiefst erschüttert über den brutalen Angriff der Hamas auf die Menschen in Israel. Hunderte Menschen wurden wahllos und vorsätzlich auf grausame Weise getötet und Tausende weitere erfuhren entsetzliches Leid. Nichts rechtfertigt diese Gewalt. Den Vorwurf des Antisemitismus weisen wir jedoch zurück. Amnesty wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung ob aufgrund von Religion, Staatsangehörigkeit, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder anderen geschützten Merkmalen. Antisemitismus, Rassismus und andere Formen von Diskriminierung stehen im Gegensatz zu den Menschenrechten. Amnesty kritisiert nicht die israelische Bevölkerung, nicht das jüdische Volk und nicht den Staat Israel als jüdischen Staat, sondern diskriminierende Gesetze, Verordnungen und deren Umsetzung durch die israelische Regierung und Behörden.

Mit freundlichen Grüßen
Silke Schnitzler

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Sehr geehrte Frau Schnitzler,

vielen Dank für Ihre Antwort. Da ich sehr ähnliche Aussagen bereits von der Internet-Präsentation kenne, nehme ich an, dass es sich um den offiziellen Standpunkt von Amnesty International handelt. Dazu möchte ich das Folgende anmerken:

Warum beginnt Ihre Antwort mit der Aufzählung von Verpflichtungen Israels für die besetzten Gebiete? Der Gaza-Streifen gehört nicht dazu. Bis zum 7. Oktober herrschte dort die Hamas, die von dort aus die israelische Zivilgesellschaft wiederholt mit Raketen und Anschlägen attackiert und die eigene Bevölkerung mit dem Gift des Hasses auf Israel impft. Der Verweis auf Verpflichtungen einer Besatzungsmacht ist irreführend und lenkt vom eigentlichen Thema ab, der Abwehr des schwersten Terroranschlags auf jüdisches Leben seit dem Holocaust.

Sie behaupten, dass Israel Sicherheitsbedenken nur als Vorwand benutzt. Ist die wiederholt erklärte Absicht, Israel vernichten zu wollen, nicht verstörend genug? Ist jahrelanger Raketenbeschuss auf israelische Städte nicht Grund genug?

Sie argumentieren mit völkerrechtswidriger Blockade. Wissen Sie, dass an den Gaza-Steifen 2 Staaten angrenzen? Haben Sie bemerkt, dass Ägypten auch nach dem Beginn der Kämpfe die Blockade aufrecht erhält? Haben Sie sich schon einmal gefragt warum? Bestraft Ägypten seine Glaubensgenossen etwa auch kollektiv?

Kennen Sie auch nur einen Krieg, in dem keine Kriegsverbrechen begangen worden sind? Aber heute zeigen Sie ausgerechnet auf den Angegriffenen und mahnen ihn zur Zurückhaltung?

Haben Sie eine praktische Vorstellung davon, wie eine Armee zivile Opfer gänzlich verhindern soll, wenn der Gegner sich in festungsartig ausgebauten Wohngebieten verschanzt und die eigene Bevölkerung zusätzlich als menschliches Schutzschild missbraucht? Die israelische Armee kündigt wiederholt an, wann und wo angegriffen wird, und fordert die Bevölkerung auf, sich in Sicherheit zu bringen. Muss ich das Verhalten der Hamas demgegenüber erläutern? Wer trägt die Verantwortung, wenn Menschen mit Gewalt daran gehindert werden, die umkämpften Zonen zu verlassen?

Dass die Hamas seit vielen Jahren Israel wahllos mit Raketen beschießt, ist bekannt. Dass die Hamas sich am 7. Oktober gezielt auf wehrlose Menschen gestürzt hat, haben wir erfahren. Die israelische Armee ist dagegen für Präzisionsschläge bekannt. Woher wissen Sie, dass die israelische Armee jetzt wahllos zuschlägt? Oder behaupten Sie das nur?

Wieso verknüpfen Sie in Ihrer Antwort die Forderung nach Freilassung der israelischen Geiseln mit der Forderung nach einem einem Waffenstillstand? Geiseln sind Gefangene, deren Überleben akut von den Geiselnehmern bedroht wird. Geiselnehmer sind potentielle Mörder! Als Organisation, die sich um die Rechte von Gefangenen kümmert, hätte ich erwartet, dass Sie in allen Verlautbarungen eine bedingungslose Freilassung aller Geiseln fordern würden - nicht nur in einer Petition, die Israel u.a. der Apartheid, willkürlicher Verhaftungen und als Verursacher des Konflikts bezichtigt.

Sie schreiben: "Als Menschenrechtsorganisation sind wir selbstverständlich zutiefst erschüttert über den brutalen Angriff der Hamas auf die Menschen in Israel.". Diese Formulierung findet sich in vielen Ihrer Verlautbarungen. Sie sind also erschüttert. Was ich bisher nicht gefunden habe, ist die explizite Verurteilung des Terroranschlags vom 7. Oktober. Amnesty International könnte auch klar schreiben: "Amnesty International verurteilt den brutalen Angriff der Hamas auf die Menschen in Israel und fordert die sofortige Einstellung der Feindlichkeiten gegenüber Israel." Hat Amnesty International ein Problem mit dieser Formulierung? Oder habe ich bloß noch nicht lange genug danach gesucht?

Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass sich die Hamas auch einfach ergeben könnte? Das hätte ein sofortiges Ende der Kämpfe zur Folge und der Weg für humanitäre Hilfsleistungen jeglicher Art wäre frei. Auch für das Wohl der Menschen in Gaza wäre das vermutlich die beste Lösung. Wie wäre es, wenn Amnesty International diese Forderung erhebt?

Antisemitismus werfe ich Amnesty International nicht vor, sondern lediglich Israelfeindlichkeit. Das ist nicht dasselbe, obwohl es häufig Hand in Hand geht.

Es grüßt
Dirk Lübeck